Immunsystem und Verdauung

Ein Beitrag von Ingeborg Kulgemeyer

   

Über die immunologische Bedeutung des Verdauungstrakts

Der Magen-Darm-Trakt nimmt als größtes Resorptionssystem des Organismus den wichtigsten Platz innerhalb des Immunsystems ein. Dies resultiert auch aus der Tatsache, dass er im ständigen Kontakt mit Antigenen steht, die über die Nahrung in den Körper gelangen. Seine Abwehraufgaben kann er aber nur dann wahrnehmen, wenn er intakt und leistungsfähig ist, so dass das Eindringen potentiell krankmachender (pathogener) Mikroorganismen oder anderer Fremdsubstanzen effektiv verhindert werden kann. Hierzu bedient er sich sowohl unspezifischer als auch spezifischer Abwehrmechanismen.

 

Die unspezifische Abwehr des Magen-Darm-Traktes

Verschiedene unspezifische Abwehrmechanismen stehen dem Magen-Darm-Trakt zur Verfügung, um Eindringlinge abzuwehren, ohne eine genaue Unterscheidung zu machen, um welches Antigen es sich gerade handelt.

pH-Wert des Magens

Der niedrige pH-Wert im Magen gewährt in der Regel einen relativ sterilen oberen Dünndarmbereich, da die im Magen enthaltene Säure einen Großteil an Keimen ohne Probleme abtötet. Zusätzlich sorgen die vorhandenen eiweißzerlegenden Enzyme für eine Reduzierung der Proteine, die unter Umständen als Antigen bzw. Allergen wirksam werden können. Diese Einleitung der Eiweißverdauung wird unter Einfluss von Darm und Pankreas (Bauchspeicheldrüse) fortgesetzt.

Infos zu den pH-Werten des Hundes während der Verdauung

Peristaltik

Die Darmmotorik (Peristaltik) verkürzt die Verweildauer von Antigenen im Darm und verhindert so in vielen Fällen das Eindringen der Antigene. Leidet der Hund z. B. häufiger unter Verstopfung, kann das Risiko, krank zu werden, aus diesem Grund erhöht sein.

Epithelzellen

Ein kontinuierlich verbundenes System mit Epithelzellen stellt eine weitere Barriere für Antigene dar.
Neben Muskel-, Nerven- und Bindegewebe gehört das Epithelgewebe zu den vier Hauptgruppen von Gewebestrukturen des Körpers. Obwohl die Darmepithelzellen keine Immunzellen sind, sind sie aktiv an der Abwehr beteiligt. Nach neusten Erkenntnissen bilden sie nicht nur antimikrobielle Peptide, sondern schaffen einen verdichteten Zellverbund, der Antigene effektiv daran hindert, die Darmwand zu durchdringen.

Schleim

Der Schleim dient als Gleitmittel und Oberflächenschutz. Bakterien, Pilze, Viren und andere Antigene werden durch den Schleim gebunden. So wird das Anhaften dieser Fremdsubstanzen erschwert oder verhindert. Bei Irritationen reagiert der Körper mit vermehrter Schleimproduktion, um Fremdsubstanzen schneller abzustoßen. Breiiger Kot oder leichter Durchfall können darum auch Symptom einer gesunden Abwehrreaktion sein.

Mikroflora des Dickdarms

Der Dickdarmbereich eines Hundes ist mit einer auf den Körper abgestimmten Mikroflora ausgestattet. Diese verhindert das Anhaften und Einnisten schädigender Keime, die zu einer Destabilisierung der Schleimhautfunktion führen. Ein direkter Angriff auf das Immunsystem kann so verhindert werden. Die Zusammensetzung der Mikroflora hängt neben der individuellen genetischen Konstitution maßgeblich von der Ernährung des Hundes ab.
Zudem bildet die Darmflora die Basis für die gesamte mikrobielle Verdauung. Insbesondere die Aufnahme und Synthese von bestimmten Vitaminen, die Zerlegung von Nahrungsbausteinen und deren Resorption etc. sind nur bei einer breit angelegten Mikroflora möglich. Verarmungen der Darmflora sowohl durch einseitig zusammengesetzte Futtermittel als auch durch chemische Präparate aller Art verhindern die ausreichende Zufuhr mit essentiellen Nährstoffen. Darüber hinaus kann es zu einer Vorwanderung von Keimen in den Dünndarm kommen, was Verdauungsstörungen wie z. B. Fehlgärungen nach sich zieht.

 

Die spezifische Abwehr des Magen-Darm-Traktes

Im Zusammenhang mit der spezifischen Abwehr des Darms spielt das sogenannte lymphatische Gewebe eine wichtige Rolle. Es kommt nicht nur in Lymphknoten und Organen vor, sondern auch an vielen Stellen der Schleimhäute – entweder in Form einzelner oder zusammengeschlossener Verbände (Follikel). Im lymphatischen Gewebe sind Lymphozyten eingelagert, die bekanntermaßen die Hauptakteure in der spezifischen Abwehr sind.

Im Darmbereich unterscheidet man das MALT, das Schleimhaut-assoziierte-lymphatische Gewebe und das GALT, das Darm-assoziierte-lymphatische Gewebe. Beide gewährleisten die Funktionsfähigkeit der Schleimhäute und sind tragend für die spezifische Abwehr. Da ca. 70-80 % aller Zellen, die Antikörper bilden, ihren Sitz im Darm haben, hat der Magen-Darm-Trakt eine entscheidende Bedeutung für die gesamten Abwehrkräfte und somit für den Gesundheitszustand des Organismus.

 

Schutzmechanismen

Zwei wesentliche Schutzmechanismen sind für das Schleimhaut-Immunsystem von Bedeutung:

Immun-Ausschluss
Hatte der Organismus schon einmal Kontakt mit dem vorliegenden Antigen, so kann er spezifische Antikörper in die Schleimhaut abgeben, die das Eindringen der Krankheitserreger durch Inaktivierung oder Abtöten verhindern können. Dies geschieht in der Regel ohne Krankheitssymptome.

Immun-Elimination
Durchbrechen Erreger bzw. Antigene die Schleimhaut und dringen in das Gewebe ein, reagiert das Immunsystem heftiger und erzeugt in der Regel Entzündungserscheinungen, die mit Bauchschmerzen oder Durchfall einhergehen.

 

Beispiel: Chemische Wurmkuren im Welpenalter

Chemische Wurmkuren zielen darauf ab, Würmer im Darm abzutöten bzw. abzutreiben. Um Endoparasiten, die bekanntlich sehr widerstandsfähig sind, erfolgreich zu bekämpfen, bedarf es starker chemischer Gifte (Toxine), die natürlich auch für den Hund eine Stoffwechsel- und Darmschleimhautbelastung darstellen. Dies um ein Vielfaches mehr, wenn es Saugwelpen betrifft, deren Immunsystem noch nicht vorhanden ist und sich erst noch ausbilden muss.

Die mittlerweile von fast allen Rasseverbänden zwingend vorgeschriebene wöchentliche Entwurmung der Welpen - inklusive des gesamten Zwingers - ist deshalb als kritisch zu bewerten. Bei wöchentlicher Abtötung großer Teile der Mikroflora des Darms in Verbindung mit der erheblichen Überflutung des Stoffwechsels mit chemischen Substanzen kann sich kein abwehrkräftiges Immunsystem entwickeln. Mit chemischen Wurmkuren eine künstliche Sterilität im Darm der Welpen erzeugen zu wollen, ist nicht nur unmöglich, sondern auch aus immunologischer Sicht widersinnig. Benötigt der Organismus doch den Kontakt mit Wurmeiern und Würmern, um überhaupt eine natürliche Abwehr zu erlernen.

Studien von Dr. Felix Sommer und Dr. Philipp Rosenstiel der Uni Kiel belegen, dass es bei jungen Säugetieren nur ein ganz begrenztes Zeitfenster gibt, in dem sich ein abwehrstarkes Immunsystem ausbilden kann. Verhindert man in dieser Zeit den Aufbau einer gesunden Mikroflora und damit des Schleimhaut-Immunsystems des Darms, so kann dies nicht nur eine lebenslange Anfälligkeit für Erkrankungen aller Art nach sich ziehen. Solche Maßnahmen können Hunde durchaus chronisch krank machen und ihre Lebenserwartung deutlich senken.

Es geht hier nicht um eine generelle Verteufelung von chemischen Wurmkuren. Aber Wurmbefall ist auch laut konventioneller Schulmedizin eine Erkrankung, die einer Diagnose bedarf. Chemische Wurmkuren wirken auch NICHT prophylaktisch. Darum ist eine Entwurmung nur angezeigt, wenn ein Wurmbefall eindeutig nachgewiesen wurde. Kotuntersuchungen - gesammelt über drei Tage - geben einen realistischen Eindruck, ob ein Wurmbefall vorliegt, der bekämpft werden muss. Liegt ein tatsächlich behandlungswürdiger Wurmbefall vor, können chemische Substanzen hier direkt ansetzen. So wird ein großer Teil der Wirkstoffe verbraucht und die Belastung des Organismus durch die enthaltenen Toxine hält sich im Rahmen. Bei pauschalen Entwurmungen hingegen besteht ein hohes Risiko, dass aufgrund des fehlenden Wurmbefalls die volle Wucht der chemischen Wirkstoffe vom Immunsystem aufgefangen und verstoffwechselt werden muss.

Natürliche Resistenz gegen Endoparasiten

Nicht nur der Immunologie ist hinlänglich bekannt, dass ein gesundes Immunsystem im Rahmen der Antigenbekämpfung genügend Abwehrmechanismen sowohl gegen Würmer als auch gegen die gefürchteten Larven im Blut hat. Wie sollte sich ansonsten auch wohl die Spezies Wolf jahrtausendelang erfolgreich gegen die Ausrottung durch Endoparasiten gewehrt haben?

 

Zusammenfassung:

Die wichtige Bedeutung des Darms und seines assoziierten lymphatischen Gewebes sowohl innerhalb der unspezifischen als auch der spezifischen Abwehr für den gesamten Organismus ist unbestritten. Es ist daher wichtig, die Funktionsfähigkeit des Verdauungstraktes sowie eine breit gefächerte Mikroflora des Darms zu fördern und zu erhalten. Aufgaben, die insbesondere der Ernährung und der medizinischen Versorgung zukommen. Inwieweit man immunsystemschwächende Faktoren in der Praxis vermeiden kann und was für den Aufbau eines abwehrkräftigen Immunsystems förderlich ist, erfahren Sie hier.

Aktualisiert April 2019

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